Hintergründe  
 

Die soziale Seite des Lernens

Alle Schülerinnen und Schüler, ob jung oder alt, sind mit einer Welt des massiv zunehmenden Wissen, des raschen Wandels und der Unsicherheit konfrontiert. Daraus resultiert, dass sie möglicherweise ängstlich und defensiv sind.

Abraham Maslow hat uns gelehrt, dass Menschen zwei Anteile von Kräften und Bedürfnissen in sich tragen – einen, der nach Entwicklung strebt, und einen anderen, der an Sicherheiten festhält. Eine Person, die sich zwischen diesen beiden Bedürfnissen entscheiden muss, wird die Sicherheit der Entwicklung vorziehen. Das Bedürfnis, sich sicher zu fühlen, muss zunächst befriedigt werden. Erst danach kann das Bedürfnis, aus sich herauszugehen, Risiken einzugehen und Neues zu erforschen, in Erwägung gezogen werden. Laut Maslow vollzieht sich fortschreitende Entwicklung in kleinen Schritten und „jeder Schritt nach vorne wird nur dadurch ermöglicht, dass man sich sicher fühlt und dass man sich von einem sicheren Heimathafen aus in das Ungewisse hinaus wagt“ (vgl. Maslow, 1968, S. 45).

Sollen Schülerinnen und Schüler ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit erlangen, ist es ganz entscheidend, dass sie eine Verbindung zu anderen Menschen aufbauen und dass sie das Gefühl haben, in eine Gruppe einbezogen zu sein. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit macht es den Mitgliedern der Gruppe erst möglich, die vor ihnen liegenden Herausforderungen anzugehen. Wenn sie nicht mehr alleine, sondern mit anderen lernen, haben sie Zugang zu jener emotionalen und intellektuellen Unterstützung, die es ihnen erst erlaubt, über ihren momentanen Wissens- und Fähigkeitsstand hinauszugehen.

Die soziale Seite des Lernens hat auch Jerome Bruner in seinem Klassiker "Toward a Theory of Instruction" (1966) erkannt. Er beschreibt ein „tiefes menschliches Bedürfnis, auf andere einzugehen und mit ihnen gemeinsam an einer Aufgabe zu arbeiten“. Er nennt dies „Gegenseitigkeit“ (Reziprozität) und macht darin eine Motivationsquelle aus, die jede Lehrerin bzw. jeder Lehrer nutzen kann, um Lernen zu stimulieren. Er schreibt: „Dort, wo gemeinsames Handeln von Nöten ist, wo Gegenseitigkeit notwendig ist, um als Gruppe ein Ziel zu erreichen, scheinen Prozesse am Werk zu sein, die den Einzelnen geradezu in das Lernen hineintragen, die ihm eine Kompetenz verleihen, die in Gruppensituationen nötig ist.“

Diese Konzepte von Maslow und Bruner sind die Grundlage der Entwicklung von Methoden des Lernens in Kleingruppen, das in allen Lern- und Lehrsituationen so gefragt sind – einschließlich der Fortbildung in Unternehmen. Führt man Schülerinnen und Schüler in Teams zusammen und stellt ihnen Aufgaben, bei denen sie – um erfolgreich zu sein – voneinander abhängig sind, so ist dies ein wunderbares Mittel, aus ihren sozialen Bedürfnissen „Kapital zu schlagen“. Sie neigen dann dazu, engagierter zu lernen, weil sie es zusammen mit ihresgleichen tun. Sobald sie einmal involviert sind, haben sie auch das Bedürfnis, mit anderen über ihre Erfahrungen zu sprechen, was dann wiederum zu weiteren Verbindungen führt.

Gemeinsame Lernaktivitäten fördern das aktive Lernen. Obwohl das Lernen in Einzelarbeit und das gemeinsame Lernen mit der gesamten Klasse ebenfalls aktives Lernen stimulieren, eröffnet die Fähigkeit, mit Hilfe von Kleingruppen zu lehren, den Lehrkräften die Gelegenheit, aktives Lernen auf ganz besondere Art und Weise zu fördern. Schüler entwickeln so auch Fähigkeiten, immer selbstbestimmter zu arbeiten.

Vergessen Sie nicht: Was eine Schülerin bzw. ein Schüler mit anderen diskutiert und was ein Mitglied einer Gruppe anderen beibringt, eröffnet ihr bzw. ihm die Chance zu tiefem Verständnis und zum wirklichen Lernen. Die besten der auf Zusammenarbeit basierenden Lernmethoden (vgl. z.B. die „Puzzlemethode" (auch: Jigsaw; Anm. d. Red.) erfüllen diese Voraussetzungen. Wenn man den Gruppenmitgliedern unterschiedliche Aufgaben stellt, veranlasst es sie, nicht nur gemeinsam zu lernen, sondern auch einander etwas beizubringen

 

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last update: Jan 03, 2008 Dieses Fenster drucken!